Orcas und Polarlichter

Eine Winterreise in die norwegische Arktis

Wenn die Tage kürzer werden und die Temperaturen unter den Gefrierpunkt fallen, drängt eine unglaubliche Menge an Heringen in die Fjorde Nordnorwegens. Ihnen folgen Raubfische, Seevögel und Wale - vor allem Orcas und Buckelwale, die sich "die Grand bouffe" nicht entgehen lassen wollen.

Die norwegische Population soll etwa 1.500 Orcas umfassen. Mindestens 1.200 von ihnen folgen dem Hering auf seiner Wanderung im Nordost-Atlantik. Nur in der Antarktis gibt es mehr Orcas als hier, und im Gegensatz zum südlichsten Kontinent versammeln sich die Orcas im Winter oft in einigen wenigen Fjorden. Die besten Voraussetzungen, um den Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum nahe zu kommen und sie vielleicht sogar unter Wasser zu sehen.

Auch wenn das Wasser mit vier bis sechs Grad nicht gerade tropisch-warm ist - der Golfstrom reicht bis in diese nördlichen Breitengrade von 70° N und sogar bis nach Spitzbergen. Das bedeutet, dass die norwegische Küste den ganzen Winter über eisfrei ist. Gleichzeitig sorgen das fehlende Sonnenlicht und die niedrigen Temperaturen für klares Wasser, d.h. gute Sicht.

Die Orcas und Buckelwale nähern sich den Booten (und auch Schnorchlern) - mit etwas Glück und Geschick des Bootsführers - bis auf wenige Meter. Männliche Orcas sind bis zu acht Meter lang, und die mächtige Rückenflosse ragt bis zu zwei Meter in die Höhe.

Die Orcas jagen den Hering in großen (Familien-)Gruppen. Das älteste Weibchen hat das Sagen - hier zählt Erfahrung und nicht Stärke. Der Hering wird durch Luftblasen, Geräusche und den gezielten Einsatz der weißen Bauchseite der Orcas eingekreist und in Panik versetzt. Die Heringe kuscheln sich zusammen und bilden einen sogenannten "Köderball". Einzelne Orcas schwimmen nun in den Schwarm und führen einen "Schwanzschlag" aus - sie machen plötzlich eine Art Salto, bei dem sie den Köderball mit der Fluke (Schwanzflosse) treffen. Im Durchschnitt kann diese Aktion bis zu 30 Fische töten oder betäuben. Jetzt können alle in Ruhe essen. Die Orcas jagen so effektiv, dass sie sich erlauben können, wählerisch zu sein und nicht einmal die Köpfe der kleinen Fische zu essen. Diese werden wieder ausgespuckt.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Buckelwale die koordinierten Fütterungsaktionen der Orcas sabotieren. Wenn sich ein Köderballen bildet, nutzen sie die Gelegenheit und schwimmen mit weit geöffnetem Maul hindurch. Sie pressen das Wasser zwischen die Barten und filtern den Hering heraus. Im Durchschnitt können das einige hundert Kilogramm Fisch auf einmal sein. Im Gegensatz zu den Orcas machen die Buckelwale lange Wanderungen zwischen den nördlichen Gebieten mit viel Nahrung und den tropischen Gebieten, wo sie ihre Jungen zur Welt bringen. Sie müssen also auch Reserven auffressen.

Allerdings ist es erstaunlich, dass Orcas und andere Wale so friedlich gemeinsam auf Heringsjagd gehen. In anderen Gebieten töten und fressen Orcas Buckel-, Zwerg-, Finn- und sogar Blauwale.

Wir haben aber auch schon Orcas in Norwegen gesehen, die Schweinswale töten. Offenbar dient dieses Verhalten den auf Hering spezialisierten Orcas nicht dazu, die kleinen Delfine zu fressen, sondern es ist ein (Jagd-)Spiel für die Schwarz- und Weißwale (die den Schweinswal in der Regel töten).

Nun könnte die Frage lauten: "Ist es eine gute Idee, mit diesen Raubtieren ins Wasser zu gehen?" Bisher gab es jedoch keine Vorfälle, die beweisen würden, dass es eine schlechte Idee ist, denn im Gegensatz zu gefangenen Orcas haben wilde Orcas kein aggressives Verhalten gegenüber Menschen gezeigt. Oft sind sie eher gleichgültig, manchmal weichen sie Booten und Tauchern aus, und nicht selten schwimmen sie auf uns zu, um zu sehen, was wir tun. Die eleganten Meeressäuger können auch Mitleid und Überraschung empfinden, wenn sie die wild zappelnden Gestalten im Wasser sehen.

Aurora und arktisches Winterlicht: ein unvergessliches Erlebnis

Das arktische Winterlicht ist ein unvergessliches Erlebnis. In orange-goldenen Strahlen fällt es durch die Täler in den Fjord. Dramatische, schneebedeckte Berggipfel sind von einer Korona umgeben. Rot, violett, blau - innerhalb weniger Stunden Tageslicht ändern sich die dominierenden Farben oft von Minute zu Minute.

Und das ist noch nicht alles. Mit etwas Glück geht das Lichtspiel auch nach Sonnenuntergang weiter. Je nach Bewölkungsgrad und Sonnenaktivität kann der Tanz der Nordlichter in diesen Breitengraden beobachtet werden. Fairerweise muss man sagen, dass sie nicht immer tanzen. Oft ist es ein grüner Schleier am nördlichen Horizont, mit dem man sich zufrieden geben muss.

Aber es gibt auch diese Wochen, in denen es fast schon lästig ist, abends in die Kälte hinauszugehen. Wellen aus rotem und grünem Licht rasen über das Firmament - du willst nichts davon verpassen, aber irgendwann - weit nach Mitternacht - werden deine Hände und Füße zu kalt. Und du brauchst auch ein bisschen Schlaf, bevor du dich morgens auf den Weg zum Fjord machst, um das wilde Schauspiel von Orcas, Buckelwalen und Heringen zu erleben.

Der norwegische Expeditionsanbieter Northern Explorers AS kann auf fast 15 Jahre Erfahrung im Schnorcheln und Tauchen mit Orcas zurückblicken und war damit einer der ersten Anbieter für diese Art von Erlebnis. Die Touren finden im November und Januar statt (im Dezember schränkt der Mangel an Tageslicht die Möglichkeiten ein). Es werden Touren mit kleinen Booten und Gruppen (4 bis 5 Teilnehmer) angeboten, sowie Safaris mit einem Segelschiff mit maximal 10 Teilnehmern. Da die Saison auf wenige wirklich gute Wochen beschränkt ist, ist es ratsam, früh zu buchen.

Fotos: Uli Kunz und Sven Gust