Macht das Spaß? Ein 40-Meter-Tauchgang im Klärschlamm eines Faulturms

Es ist, als würde man bei 37 Grad Schnee schippen

Die Tauchbedingungen sind eigentlich optimal: keine Strömung, keine gefährlichen Wracks in der Umgebung, angenehme Temperaturen und ein überschaubares Tauchgebiet ... überschaubar ...? Jetzt mal im Ernst: eigentlich nicht, denn der Tauchgang findet im Faulturm einer Kläranlage mit "null" Sicht statt. Und wir reden hier von Berufstauchern, genauer gesagt von Gregor Ulrich, der mit seinem zwölfköpfigen Tauchteam vom Wiener Umwelttauchdienst vor allem in Kläranlagen in ganz Deutschland taucht (und arbeitet).

Das Wiener Familienunternehmen wurde vor über 40 Jahren von Gregors Vater Anton gegründet. Seit 1996 sind die Ulrichs als Spezialisten für Faulbehälter und Kläranlagen tätig. Gregor war zehn Jahre lang bei den europäischen Kläranlagen tätig. Jetzt verbindet er sein Unternehmen mit dem seines Vaters Anton, der zu einem der wenigen Top-Spezialisten in diesem "stinkenden" Geschäftsfeld geworden ist.

Das ganze Tauchergeschäft hat nur wenig mit dem schönsten Sport der Welt zu tun und solche Einsätze in dreistufigen Kläranlagen sind im wahrsten Sinne des Wortes kein Honigschlecken, sondern eher ein "Scheiß"-Geschäft - aber trotzdem sehr interessant, welche Arbeiten von Industrietauchern erledigt werden.

Gregor ist jetzt 36 Jahre alt und macht seit zehn Jahren seinen Job als Berufstaucher in zahlreichen Klärbecken und Faulbehältern. Was er und seine Kollegen in Faultürmen mit Tiefen von bis zu 40 Metern bei Temperaturen um die 37 Grad Celsius machen, ist ein "Blindflug" in einer gefährlichen Umgebung. Gregor Ulrich taucht generell nur in verunreinigten Gewässern, also im Abwasser von Kläranlagen.

Die kleineren Klärbecken sind die Ouvertüre. Nur vier bis acht Meter tief und meist 20 Grad warm. Hier dauern die Tauchgänge manchmal bis zu drei Stunden. Die Wiener Tauchspezialisten brauchen dafür aufgrund der geringen Tiefen keine Dekompressionstabellen. In diesen Becken klären aerobe Bakterien die Abwässer. Um das für die wichtigen Bakterienkulturen notwendige aerobe Milieu zu schaffen, wird mit Niederdruckkompressoren Druckluft in die Becken geblasen und verwirbelt.

Die "Luftgebläse" werden während der Inspektions- und Reinigungstauchgänge abgeschaltet und die Taucher entfernen Schlamm und Fremdkörper aus dem Becken, um die Abwasserreinigung erfolgreich in Gang zu halten. Von hier aus gelangt das vorgereinigte Abwasser in die Fäkal- und Schlammtürme...

Diese großen, bis zu 40 Meter hohen Faultürme haben ein anaerobes Milieu und bei den Fäulnisprozessen entsteht Methangas, was die Tauchaktivitäten zusätzlich erschwert. "In solchen Faultürmen wird mehr Energie erzeugt, als die gesamte Anlage verbraucht, und das Methangas ist ein willkommenes, aber auch gefährliches Nebenprodukt des Klärprozesses", erklärt Gregor Ulrich. Es gibt strenge Sicherheitsvorschriften, denn ab einem Abstand von fünf Metern zur Methanumgebung im Klärturm besteht Explosionsgefahr, die sogenannte Zone 1.
Im Inneren des Turms, oberhalb des Füllstands der Faulmasse - in der "Null"-Zone - kann jeder Funke zu einem Drama führen, weshalb hier nur spezielle Geräte und Materialien verwendet werden dürfen. Das hat nichts mit dem Industrietauchen zu tun, wie man es normalerweise kennt. "Wenn du siehst, wie das Restlicht durch die Luke verschwindet und du plötzlich null Sicht hast, hast du zwar die kritische Zone Null hinter dir gelassen, aber dann steckst du bis zu den Ohren im Schlamassel", erklärt Gregor Ulrich, denn die halbflüssige Masse ist mit einer Temperatur von 37 Grad Celsius alles andere als eine angenehme Tauchtemperatur.

Der wasser- und gasdichte Spezialanzug mit seinem Bajonettverschluss am Hals nimmt den Spezialhelm auf, dessen Sichtfenster eigentlich nichts zeigt. Deshalb gehören eine Tauchlampe, ein Computer oder ein Tiefenmesser nicht zur Ausrüstung, weil sie sowieso nicht benutzt werden können. Der geschlossene Anzug wird vom Serviceteam an der Oberfläche, außerhalb des Kochers, über ein Schlauchpaket mit vier Leitungen - genannt Umbilical - mit Luft versorgt. Beim Free-Flow wird die Atemluft in den Anzug geblasen. Diese strömt auch in den Helm, so dass der Taucher ohne Atemregler atmen kann, genau wie beim klassischen Helmtauchen. Der Durchfluss und die Luftmenge werden über Ventile reguliert. Dialoge zwischen dem Serviceteam und den Tauchern sind über ein integriertes Telefon möglich.

Die in den Anzug eingeblasene Luft kühlt den Taucher etwas ab, denn schon nach wenigen Minuten sind die 37 Grad Umgebungstemperatur alles andere als lustig. Ein kleiner, fast anderthalb Meter langer Schlauch kühlt das "System" gelegentlich ab, wenn der Taucher mit dem so genannten Pneumatikventil von außen einen kalten Wasserstrahl auf Brust oder Hände richten kann, der zumindest vorübergehend für eine leichte Abkühlung sorgt.

Wie fühlst du dich, wenn du praktisch nur im Abwasser der Menschheit tauchst?
"Zumindest aus Sicht des Berufstauchers hat das viele Vorteile", sagt Gregor Ulrich. "Es ist immer warm und wir müssen nie in eisigen Gewässern oder in der kalten Umgebung tauchen. Wir haben ein ruhiges, konstantes Medium und wir tauchen nur in einem klar definierten Raum", erklärt der Profi. Und: "Wir tauchen eigentlich immer in einer sicheren Umgebung. Bei unseren Tauchgängen gibt es nie eine Strömung, wir haben keinen Schiffsverkehr über unseren Köpfen und keine gefährlichen Anlagen oder Wracks, die eine Gefahr darstellen", macht Gregor Ulrich beim Zuhören fast Lust, es selbst auszuprobieren. Aber er fügt auch gleich einen Nachteil hinzu: "Es ist ziemlich hart für die Psyche. Zumindest am Anfang!" Und das ist wahrscheinlich einer der Hauptgründe dafür, dass professionelles Tauchen in solch schwierigen Umgebungen nicht gerade der Traumjob ist, abgesehen vom Gehalt mit rund 500 Euro pro Tag!

Die einzige Frage, die bleibt, ist: Was um alles in der Welt macht ein Taucher in einem Kocher ohne einen Zentimeter Sicht bei 37 Grad? Nun, die Frage ist ganz einfach zu beantworten, denn der Grund für die regelmäßige Reinigung der Absetzbecken und Faultürme ergibt sich aus den von den Mikroben und Bakterien abgebauten organischen Bestandteilen, die sich dann als Klärschlamm am Boden des Faulturms absetzen. Mit einer Mammutpumpe wird dann beim Einblasen von Druckluft ein Venturi-Effekt erzeugt, mit dem der Taucher den Boden vom Schlamm befreit und so das bakterielle Milieu im Faulturm aufpeppt.

Manchmal sind es richtige Brocken, eine schwankende Masse, die mit der von dem Wiener Unternehmen selbst entwickelten innovativen Doppelpumpen-Saugtechnik aus dem Faulturm in einen Entsorgungsbehälter draußen am Fuß des Faulturms befördert wird. "Das ist wie Schneeschaufeln bei 37 Grad", erklärt Gregor Ulrich mit seinem Wiener Humor und lacht. "Manchmal müssen auch so genannte 'Zöpfe' entfernt werden - das sind Reste von menschlichen Abfällen, die mit anderem Fremdmaterial verklebt sind - die ebenfalls über die Toiletten und das Abwasser entsorgt werden", erklärt Gregor, nicht gerade begeistert über die Abfallentsorgung über die Toiletten ... Ach ja: Die Tauchgänge in den Faultürmen sind natürlich auch manchmal Dekompressionstauchgänge, denn bei 90 Minuten Tauchzeit im bis zu 40 Meter tiefen Faulturm besteht manchmal Dekompressionspflicht", sagt Gregor.

Auch für den unwahrscheinlichen Fall eines Kompressorausfalls sind immer zwei 40-Liter-Reserveflaschen angeschlossen und bereit, um über den Notschlauch im Schlauchpaket einen konstanten Atemgasfluss zu gewährleisten. Der schönste Moment des Tauchgangs ist das Abtauchen, wenn der Kopf die Oberfläche durchstößt. Kühles Spülwasser spritzt von oben auf den Helm, den Anzug, die Handschuhe, ein tolles Gefühl für den Taucher. Vielleicht ist es ein bisschen so, wie wenn du beim Tauchen auf den Malediven einem Walhai begegnest ... Vielleicht ... Aber auf jeden Fall befreiend und sauber und cool und endlich zurück aus ... dem "Kotbad"...

Kontakt:
Gregor Ulrich
Umwelttauchservice Österreich, Wien
www.umwelttauchservice.at