Polarregionen: Hotspots der Artenentstehung

Nicht warme Korallenriffe, sondern eisige Polarmeere sind Zentren der Artenentwicklung für Meeresfische

Warme tropische Küstenmeere beherbergen bis zu 1.000 Mal mehr Fischarten als die kalten Polarmeere. Die Abnahme der Artenzahl von den Tropen zu den Polen ist in der Forschung seit langem bekannt und wird in den meisten Lehrbüchern mit einer höheren Rate der Artenentwicklung in warmen Korallenriffen, Lagunen oder Mangrovenwäldern erklärt. Eine neue Studie hat nun herausgefunden, dass in den letzten Millionen Jahren die Entwicklung neuer Arten in kalten Gewässern in hohen Breiten etwa doppelt so hoch war wie in den Tropen.

Die Tropen gelten als besonders artenreich, ob an Land im Regenwald oder in Korallenriffen unter Wasser. Im Gegensatz dazu sind die Polarregionen mit ihrem lebensfeindlichen Klima an Land und im Wasser nur von wenigen Organismen besiedelt. Daher ist es nur logisch anzunehmen, dass neue Arten eher in den warmen Regionen unseres Planeten entstehen als in den Polarregionen. Eine neue Studie, die jetzt in der Zeitschrift Nature erschienen ist, kommt zum gegenteiligen Schluss: Gerade die polaren Eisgebiete gelten bei Meeresfischen als Zentren für die Entstehung neuer Arten.

"Unsere Ergebnisse sind unerwartet und kontraintuitiv", sagt Prof. Dr. med. Daniel Rabosky, Evolutionsbiologe an der University of Michigan, USA und Hauptautor der Studie offen. "Eigentlich würde man erwarten, dass eine hohe Rate der Artenentstehung auch zu einer hohen Anzahl von Arten führt", so Rabosky weiter. Aber diese Rate hängt von der Balance zwischen dem Auftauchen neuer Arten und dem Aussterben bestehender Arten ab. Eine höhere Aussterberate in kalten Gewässern, zum Beispiel durch den Verlust von Lebensraum während der Eiszeiten, könnte das vermeintlich widersprüchliche Ergebnis von hoher Artenentstehungsrate und geringer Artenzahl erklären. Allerdings sind die Aussterberaten schwer zu bestimmen und liegen für Meeresfische noch nicht vor.

"Besonders wichtig für diese Studie war, dass möglichst viele Daten über die globale Verbreitung von Meeresfischen vorliegen", sagt Dr. Rainer Froese, Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Das GEOMAR hat zusammen mit internationalen Partnern die weltweit größte Datenbank für Meeresfische http://www.fishbase.org aufgebaut. "Wir haben ihre Informationen für die Studie zur Verfügung gestellt", fährt Froese fort.

"Mehr als 12.000 Karten sind in diese Studie eingeflossen", erklärt Cristina Garilao, Meeresbiologin und Mitautorin der Studie. Sie ist für die Zusammenarbeit mit dem FishBase Informationssystem am GEOMAR verantwortlich.

"Diese Studie ist ein Meilenstein, um die Verteilung der Artenvielfalt auf unserem Planeten zu erklären. Ohne ein Verständnis dafür, wie diese Vielfalt entsteht, nämlich durch biologische Evolution, ist kein wirksamer Schutz möglich. Diese Studie liefert weitere wichtige Argumente für einen verbesserten Schutz der Polarregionen, in denen die Artbildungsraten offenbar sehr hoch sind", fasst Professor Thorsten Reusch, Evolutionsbiologe am GEOMAR, zusammen.

Link zur Studie: https://www.nature.com/articles/s41586-018-0273-1