Invasive Ctenophora: Strömungen als treibende Kraft

Neue Studie zeigt erste umfassende Bestandsaufnahme der europäischen Krabbenqualle

Seit 12 Jahren behauptet sich die von der nordamerikanischen Ostküste stammende Atlantikqualle Mnemiopsis leidyi auch in nordeuropäischen Gewässern. Anhand der ersten umfassenden Datenerhebung zum Vorkommen dieser invasiven Art in Europa haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel nun gezeigt, dass Meeresströmungen eine Schlüsselrolle für ihren Erfolg im neuen Lebensraum spielen.

Als die amerikanische Flossenqualle Mnemiopsis leidyi, auch bekannt als Meereswalnuss, vor 35 Jahren das Schwarze Meer als neuen Lebensraum eroberte, veränderte sie das dortige Ökosystem nachhaltig. Die wirtschaftlich wichtigen Sardellenbestände brachen zusammen, weil die Qualle als neuer Nahrungskonkurrent den Fischen die Lebensgrundlage entzogen hat. Vor diesem Hintergrund waren Wissenschaft, Fischereiverbände und Umweltbehörden alarmiert, als sich die Seewalze ab 2005 auch in nordeuropäischen Gewässern ausbreitete. Obwohl ähnliche Auswirkungen in der Nord- und Ostsee bisher nicht beobachtet wurden, verfolgt die Forschung die Entwicklung weiterhin aufmerksam - vor allem, weil viele Fragen zu den Wegen der invasiven Arten noch weitgehend unklar sind.

Insgesamt 47 Wissenschaftler aus 19 Ländern veröffentlichten in der internationalen Fachzeitschrift Global Ecology and Biogeography die erste umfassende Bestandsaufnahme von Mnemiopsis leidyi in europäischen Gewässern. Mit diesen Daten zeigt das interdisziplinäre Autorenteam, dass Meeresströmungen als Verbreitungsweg von invasiven Quallen und anderen treibenden Organismen im Meer bisher deutlich unterschätzt wurden. "Um die Invasion fremder Arten in marine Ökosysteme zu erklären, konzentriert man sich sehr auf den Transport in oder auf Schiffen. Das stimmt, aber es erklärt nicht das ganze Phänomen", sagt die Hauptautorin Dr. Cornelia Jaspers, Biologische Ozeanografin am GEOMAR und der Technischen Universität Dänemark in Lyngby.

Als Grundlage für ihre Studie haben die Teilnehmer alle verlässlichen Daten über das Vorkommen der Amerikanischen Krebsqualle in europäischen Gewässern seit 1990 gesammelt - insgesamt mehr als 12.000 georeferenzierte Datenpunkte. "Selbst diese Bestandsaufnahme ist neu, denn bisher gab es nur regionale Studien über die Verbreitung", erklärt Dr. med. Jaspers.

In Zusammenarbeit mit Ozeanographen und Ozeanmodellierern verknüpften sie Daten über die Ausbreitung von Mnemiopsis leidyi mit den vorherrschenden Strömungen in europäischen Gewässern. Die Analyse umfasste nicht nur die Strömungsrichtungen und ihre Stärke, sondern auch ihre Stabilität. Die Modelle zeigten, dass das stetige Strömungsmuster die südliche Nordsee eng mit großen Teilen Nordwesteuropas, wie der norwegischen Küste und sogar der Ostsee, verbindet.

Durch diese enge Verbindung können nicht nur invasive Quallen, sondern generell nicht-einheimische Arten, die im Meer schwimmen, innerhalb kürzester Zeit über weite Strecken verbreitet werden. "Anhand der eingeschleppten Mnemiopsis konnten wir zeigen, dass sie innerhalb von drei Monaten bis zu 2.000 Kilometer zurücklegen kann", sagt Hans-Harald Hinrichsen, Ozeanograph am GEOMAR. Arten, die in Häfen in der südwestlichen Nordsee, wie Antwerpen oder Rotterdam, ankommen, erreichen Norwegen und die Ostsee sehr schnell.

Um diese Verbindung zu bestätigen, nutzten die Autoren ein natürliches Experiment. Nach einer sehr kalten Wintersaison Anfang 2010 verschwand die Qualle im Jahr 2011 aus der Ostsee und weiten Teilen Nordwesteuropas. Sie blieb bis 2013. Doch nach dem warmen Winter 2013/14 hatte sie sich sofort wieder angesiedelt. "Bei der Wiederbesiedlung handelte es sich jedoch um einen anderen Genotyp von Tieren. Innerhalb kurzer Zeit fand eine neue Einwanderung statt, angetrieben von den vorherrschenden Meeresströmungen", so Dr. Jaspers. Vielleicht sind die Neuankömmlinge aus der zweiten Invasionswelle sogar noch besser an die lokalen Bedingungen angepasst.

Daher plädieren die Autoren dafür, nicht nur die Transportwege über die Ozeane zu verfolgen, sondern auch die Möglichkeiten der Ausbreitung innerhalb einer Region besser zu untersuchen. "Die Studie zeigt, dass es ein einziges Einfallstor gibt, einen einzigen Hafen, in dem Schiffe mit invasiven Arten ankommen. Wenn dieser Hafen in einem Gebiet mit starken Strömungen in der 'falschen' Richtung liegt, reicht das aus, um die nicht heimischen Arten über ganze Regionen zu verteilen."

Link zur Studie: doi.org/10.1111/geb.12742.

Siehe auch:
Schnellere Fortpflanzung sichert Erfolg

und (nur auf Deutsch verfügbar):
Rippenquallen - Faszination und Fluch
Gefräßige Leuchten der Meere